Dein Sehnenproblem ist keine Entzündung !

Sehnenbeschwerden, in der Fachsprache Tendinopathien,  gibt es in unterschiedlichen Farben und Geschmacksrichtungen. Je nach Belastungssituation versucht sich die Sehne anzupassen. Akut oder dauerhaft überlastet geht dabei auch etwas schief. Nur eins ist dabei in keiner Sehne zu beobachten: 

Eine klassische Entzündungsreaktion, die mit Ibuprofen, Diclofenac oder Kortison in den Griff zu bekommen wäre !

Also ist jeder Cent für entzündungshemmende Salben, Gels oder Tabletten grundsätzlich schlecht angelegt. Zu den seltenen Ausnahmen komme ich weiter unten.



Kennst Du die drei Arten von Sehnenbeschwerden ?

Die australischen Sehnenforscher Jill Cook und Craig Purdham beschreiben drei unterschiedliche Formen der Tendinopathie, die in der Praxis extrem hilfreich sind Patienten mit Sehnenbeschwerden zu beurteilen und für jeden die passende Therapie zu finden. Für besonders Wissbegierige sind ganz unten die entsprechenden Literaturquellen aufgeführt.

Wo erkennst Du Dich am besten wieder ?

Akute Tendopathie

Typisch für die akute Tendopathie sind:

  • Junger Patient (Alter zwischen 15 und 25)
  • Reaktion der Sehne auf eine plötzliche Belastungssteigerung (Trainingslager, Intervalltraining oder Berglauftraining neu gestartet, zurück aus einer Verletzungs- oder Coronapause) oder
  • einmalig direkter Schlag/Tritt auf die Sehne
  • diffus geschwollene Sehne
  • ausgesprochen belastungsempfindliche Sehne auch bei normaler Alltagsbelastung

Wie sieht es dabei in Deiner Sehne aus ?

Die Sehnenzellen reagieren auf die akute Überlastung mit Überaktivität. Es werden in kurzer Zeit Proteine (sogenannte Proteoglykane) gebildet, die aber nicht sehnentypisch sind, sondern im Gelenkknorpel vorkommen.

Diese Proteine speichern deutlich mehr Wasser, so dass es zu einem diffusen Anschwellen der Sehne kommt.

Die Sehnenzellen sind in dieser Phase hochempfindlich und belastungssensibel.

Konsequenzen für die Behandlung der akuten Sehnenreizung:

  1. Belastungspause
  2. Ibuprofen ( nicht Diclofenac, Paracetamol oder Naproxen) ist in der Lage die Überaktivität der Sehnenzellen in dieser Phase zu senken
  3. In der akuten Phase ist lediglich isometrisches Training zu empfehlen

Chronische Tendopathie

In der Praxis die häufigste Form der Sehnenveränderung zeigt häufig diese typischen Merkmale:

  • Patient älter (z.B. > 25 Jahre bei Patellarsehnenbescherden, > 35-40 Jahre bei Achillessehnenbeschwerden
  • Reaktion der Sehne auf eine minimale, aber dauerhaft bestehende Überlastung
  • Länger bestehende Beschwerden (Wochen und Monate)
  • Langsame Beschwerdezunahme
  • Anfangs keine oder nur geringe Einschränkungen bei sportlicher Belastung

Wie sieht es bei der chronischen Tendopathie in Deiner Sehne aus ?

Die Sehne zeigt die typischen Veränderungen einer Fehlheilung mit vermehrter Zellzahl, vermehrter Bildung von Narbengewebe und Einwachsen von neuen Nerven und Gefäßen ( wie im ersten Bild weiter oben dargestellt)

Im Ultraschall sehen die Veränderungen, hier am Beispiel einer Achillessehne mit spindelförmiger Verdickung und deutlich vermehrter Darstellung von neuen Blutgefäßen (rot), so aus:

Auch bei der chronischen Tendopathie findet sich keine klassische Entzündung. Schmerzmittel und Entzündungshemmer, wie Ibuprofen oder Diclofenac, helfen vielleicht etwas gegen Schmerzen, so lange Sie eingenommen werden. Auf die vorliegenden Strukturveränderungen der Sehne haben sie keinen Einfluss.

Die ebenfalls gerne eingelegte Sport-/Belastungspause hat keinerlei positiven Effekt auf die Veränderungen, sondern verschlechtern die Sehnenstruktur zunehmend. Kein Wunder, dass nach der Belastungspause die üblichen Beschwerden so schnell wieder auftreten.

Konsequenzen für die Therapie der chronischen Tendopathie:

»Use it or use it« gilt auch bei Sehnenbeschwerden. Der Therapieschwerpunkt sollte in einem aktiven, dosierten Aufbau der Sehnenbelastbarkeit liegen

Passive Therapiemaßnahmen (Massagen, Stosswelle, Spritzen etc. ) sind als Begleitbehandlung durchaus sinnvoll. Als alleinige Maßnahme angewendet häufig nicht oder nur kurz wirksam.

Kortison hilft in den meisten Fällen für 4-6 Wochen. Mittel- bis langfristig führt es zu Strukturveränderungen, die die Sehne zusätzlich schwächen bis zum spontanen Sehnenriss unter normaler Alltagsbelastung.

Akute auf chronische Tendopathie

Bei den Betroffenen besteht eine chronische Tendopathie mit leichten bis mäßigen Sehnenbeschwerden während oder nach sportlicher Belastung. Die oben beschriebene Fehlheilung der Sehne betrifft immer nur einen Teil und nicht die gesamte Sehne. Das lässt sich durch eine spezielle Ultraschalluntersuchung ( die sogenannte UTC) nachweisen.

Das Beispiel zeigt eine Patellarsehne (Kniescheibensehne) im Querschnitt. Grün zeigt gesunde Sehnenanteile, Blau sind Anteile, die von einer akuten Tendopathie betroffen sind, Rot zeigt die von einer Fehlheilung betroffenen Anteile.

Im linken unteren Bild das Bild einer akuten auf chronischen Tendopathie. Der Therapieeffekt zeigt sich im rechten Querschnitt derselben Patellarsehne: kaum mehr Blauanteile, auch der zentrale rote Anteil wird durch gesunde grüne Anteile langsam ersetzt.

Nach einer ungewohnten Belastung, die teilweise gar nicht so intensiv empfunden wirkt ( z.B. Wechsel des Laufuntergrundes ) folgt noch während der Belastung, direkt danach oder am Folgetag eine deutliche Zunahme der Sehnenbeschwerden.

Im bislang gesunden Sehnenanteil finden sich Veränderungen einer akuten Tendopathie.

Während die Beschwerden auf einer Schmerzskala (auch visuelle Analogskala  oder abgekürzt VAS genannt) von 0 = keine Schmerzen bis 10 = Hölle bislang bei 2-3 lagen, steigen sie plötzlich auf 7-8, manchmal auch auf 10 von 10 an.


Achtung !

Bei diesem plötzlichen Anstieg der Beschwerden muss man unbedingt einen Teilriss oder Riss der betroffenen Sehne ausschließen, vor allem wenn die Sehne mit Kortison vorbehandelt wurde oder vor kurzem ein Antibiotikum aus der Gruppe der Chinolone ( z.B. Ciprofloxacin oder Levofloxacin) eingenommen wurde.

Konsequenzen in der Behandlung

  1. Teilriss oder Riss unbedingt ausschliessen
  2. Danach erfolgt die Behandlung nach den Prinzipien der akuten Tendopathie

Literatur

Abate M, Gravare-Silbernagel K, Siljeholm C et al.Pathogenesis of tendinopathies: inflammation or degeneration? Arthritis Res Ther 2009; 11: 235.

Cook JL, Docking SI. “Rehabilitation will increase the ‘capacity’ of your…insert musculoskeletal tissue here….” Defining ‘tissue capacity’: a core concept for clinicians. Br J Sports Med 2015; 49:1484–1485.

Cook JL et al. Revisiting the continuum model of tendon pathology: What is its merit in clinical practice and research? Br J Sports Med 2016; 50:1187–1191.

Rees JD, Stride M, Scott A. Tendons – time to revisit inflammation. Br J Sports Med 2014; 48:1553–1557.

Weinert F, Weisskopf L. Sehnenmanagement in Klinik und Praxis am Beispiel der Achillessehnentendopathie. In: Jerosch J, Linke C, Hrsg. Patientenzentrierte Medizin in Orthopädie und Unfallchirurgie: Lösungen für Patientenorientierung und Wirtschaftlichkeit. Berlin, Heidelberg: Springer 2016.

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